Leben mit dem Tod auf der Schulter

Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Challenge „Wo spaziert der Tod durch Euer Bild?“ von Annegret und Petra. Vielen Dank, dass ich dabei sein darf!

Wir alle wissen, dass wir sterben müssen. Zumindest in der Theorie. Die meiste Zeit werden Gedanken an den Tod von einem Stoppschild blockiert, das schützend vor unserer Gefühlswelt steht. Und glücklicherweise sind wir in unserer Lebenszeit viel zu beschäftigt mit Karriereplänen, Business-Projekten, Fitnesstrends oder dem wirklich allerneuesten Aufreger auf Twitter. Als liesse sich die Endlichkeit des Lebens durch gute Organisation, die richtige Ernährung oder beruflichen Status aufheben.

Bis vor ein paar Monaten hetzte ich genauso durch meine Lebensstunden als flössen diese in unendlicher Zahl. Hatte meine Effizienz bei minimaler Freizeit maximiert. An den Sinn von Leben und Tod keine Gedanken verschwendet, denn dieses Rätsel würde ich ohnehin nicht lösen können.

Ohne Vorwarnung spürte ich seine Krallen auf meiner Schulter. „Krah krah kraaaah“, sagte der Rabe, was sich auch mit „metastasiertem Ovarialkarzinom“ übersetzen lässt. Nach dem ersten Schock gab es für meinen wohltrainierten Aktionismus genug zu tun. Als wäre mein Krebs ein Projekt, bei dem ich bloß keine Deadline verpassen darf: Hilfen beantragen, medizinische Leitlinien studieren, letzte Dinge regeln und das möglichst zügig, denn sonst… Ja was sonst? Mach dich mal locker, ich hole Dich so oder so, krächzte der Rabe. 

Fatalismus ist so überhaupt nicht mein Ding. Doch auf Dauer ist das Picken des Vogels unerträglich geworden. Besonders dann, wenn wieder eine Mitpatientin verstirbt. Oder wenn Komplikationen in meiner Behandlung auftauchen. Nachts, wenn ich allein im Bett liege, lasse ich immer mal wieder ein Quäntchen Todesangst zu. Wohldosiert, um nicht abzustürzen. Dabei fürchte ich weniger den Sterbeprozess an sich. Wissenschaftlern zufolge sollen Botenstoffe, die das zersetzende Gehirn freisetzt, diesen erträglicher machen. Sondern was mich schaudern lässt, ist, plötzlich für immer vom Leben und meinen Lieben getrennt zu sein. 

Tagsüber fühlt sich meine Prognose an wie schlechte Nachrichten in der Tagesschau. Eine verheerende Tatsache, die sich jedoch weit weg anfühlt. Über meine Erkrankung kann ich mit anderen relativ sachlich sprechen. Über die Todesangst mit niemandem. Zu hoch sind die Tabumauern für diesen dunklen Aspekt des Lebens und zu groß meine Angst, andere zu sehr zu belasten.

Noch bin ich da. Mehr als zuvor. Als hätte mich der Todesvogel mir selbst näher gebracht. Ich spreche unangenehme Dinge früher aus, schäme mich weniger für meine Defizite und stehe mehr zu meinen Wünschen. Brülle meine Wut in den Wald, singe viel und laut und beende einseitig-ermüdende Telefonate. Lerne meine grenzen kennen und übe fleißig das Wörtchen „Nein“. Während es früher bei mir so gut wie keinen Leerlauf gab, nehme ich mir inzwischen gerne und reichlich Zeit für mich alleine. Die meisten Menschen können das problemlos, ohne schwerkrank zu sein. Anscheinend hatte ich großen Nachholbedarf. 

Trotzdem mag ich mich einfach nicht an den hässlichen Vogel auf meiner Schulter gewöhnen. Seit es mir als Kind dämmerte, dass das Leben endlich ist, finde ich den Tod unfassbar grausam. Dagegen helfen weder Zen-Weisheiten, die Bibel oder mir bislang unerklärliche Begegnungen mit frisch Verstorbenen. Sterben sei ein mittelalterliches Konzept, brachte es eine kluge Freundin neulich auf den Punkt. Trotz meines Realismus bin ich noch längst nicht bereit, loszulassen. Vielleicht, weil es noch nicht soweit ist. Denn ich fühle mich deutlich weniger krank, als ich es bin und verspüre noch viel Kraft und Hoffnung. Und am Leben zu hängen ist nunmal lebenswichtig.

Zum Glück weiß ich nicht, wann der Rabe zuschlägt. Damit geht es mir eigentlich wie den Gesunden, die auch eine unbekannte Summe X an Lebenszeit vor sich haben. Und mein „Sümmchen“ möchte ich genauso mit Leben füllen. Ich schmiede Zukunftspläne, träume davon, meine künstlerische Seite noch mehr ausleben zu dürfen und von tollen Reisen. Mit dem Unterschied, dass der Todesvogel mein schützendes Stoppschild und damit viel Unbeschwertheit weggepickt hat. Nur ab und zu gelingt es mir noch, mich in die duftende, blütenweiße Decke der Verdrängung einzukuscheln. Mir ist meine Endlichkeit schmerzhaft bewusst. Weshalb ich heute zum ersten Mal seit vielen Jahren meinen Geburtstag mit meinen Lieben feiere, anstatt zu arbeiten. Möge der Rabe noch verdammt lange auf seinem Platz bleiben. Denn jetzt ist es Zeit für meine Zeit. 

Kein Problem, Ihr dürft mir gerne gratulieren 🙂  

Eure Onkomieze

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18 Kommentare zu „Leben mit dem Tod auf der Schulter“

  1. Liebe Bettina,

    herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag. Ich wünsche dir heute einen ganz schönen Tag mit deinen Lieben. Die Sonne scheint wahrscheinlich auch bei dir … der Frühling zieht ins Land.

    Wir freuen uns, dass du bei unserer Blogaktion dabei ist. Ich werde deinen Artikel gleich rebloggen. Seit heute weiß ich, dass du krebskrank bist. Das tut mir sehr leid zu lesen. Du kennst sicher das Buch von Sabine Dinkel. Auch Claudia Cardinal hat ein neues Buch herausgebracht, das ich diese Tage vorstellen werde. Das Leben ist noch lange nicht zu Ende. Ich wünsche dir, dass deine Träume und Wünsche in Erfüllung gehen.

    …. und dass dir heute ganz viele Menschen gratulieren.
    Herzlich. Petra

    Gefällt 2 Personen

    1. Liebe Petra, Danke Dir! War mir eine Ehre, mitmachen zu dürfen. Beim nächsten Mal gerne wieder!!! Ja wir sind gerade bei dem Traumwetter in der Natur und nutzen den Moment, herrlich! Viele liebe Grüße
      Bettina

      Gefällt 2 Personen

  2. Hat dies auf Totenhemd-Blog rebloggt und kommentierte:
    Bettina ist heute bei uns in der Blogaktion. An ihrem Geburtstag. Ich wünsche ihr ganz viele neugierige Leser*innen, die ihr gratulieren. Feiern wir mit ihr heut das Leben.

    Alles Liebe und Gute.

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  3. Schwer gefällt mir zu drücken, aber das Gefällt mir gilt deiner Unerschrockenheit hinzusehen. Ich habe das hier mal anders erlebt. Es war furchtbar weil jeder wusste aber niemand durfte es benennen. Ich wünsche dir trotz diesem fiesen Raben einen schönen Sonntag.

    Gefällt 2 Personen

  4. Ich wünsche Dir einen glücklichen Geburtstag und noch viele helle Stunden.
    Ich erlebe so vieles von dem von Dir geschilderten gerade aus der Perspektive einer Tochter, einschließlich des über alles-Reden-Können außer der Todesangst hier und Angst vor der Todesangst der anderen dort.
    Herzliche Grüße
    Ines

    Gefällt 3 Personen

  5. Liebe Bettina,
    viel Glück und viel Segen singe ich Dir zu Deinem Geburtstag!
    Gott segne Deinen Mut!
    Lebe weiter so getrost abschiedlich, ja keine, keiner weiß, wieviel Zeit ihr oder ihm noch geschenkt ist.
    Herzlichst, Hiltrud

    Gefällt 3 Personen

  6. Hat dies auf ilseluise rebloggt und kommentierte:
    Liebe Bettina,
    viel Glück und viel Segen singe ich Dir zu Deinem Geburtstag!
    Gott segne Deinen Mut!
    Lebe weiter so getrost abschiedlich, ja keine, keiner weiß, wieviel Zeit ihr oder ihm noch geschenkt ist.
    Herzlichst, Hiltrud

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  7. Liebe Bettina,
    heute Morgen habe ich bei einer Exkursion weit oben am Himmel zwei Raben kreisen sehen, die sich dann im Dickicht der Bäume am Horizont verloren. Da wusste ich noch nichts von deinem Raben, aber ich hoffe sehr, dass einer davon deiner war und du einen schönen, sonnigen, rabenfreien Tag hast. Ich wünsche dir, dass er auch in deinem nächsten Lebensjahr möglichst oft fern von dir irgendwo weit oben seine Kreise zieht. Danke für deinen wunderschönen Text.
    Alles Liebe zum Geburtstag!
    Herzliche Grüße, Silke

    Gefällt 1 Person

  8. Ein so guter Bericht über das Gefühl, das so viele von uns kennen oder kannten.
    Begegne ihm weiter so, wie Du es jetzt tust, vielleicht wird ihm langweilig und er fliegt weiter…
    Ganz herzliche Glückwünsche von Bruni

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  9. Liebe Bettina, auch, wenn Dein Geburtstag bereits Vergangenheit ist, gratuliere ich Dir herzlich.
    Das kenne ich: Ein schwarzer Vogel fliegt gegen die Fensterscheibe und ist tot. Dann weiß ich sofort, dass jemand gestorben ist. Meine Oma hatte Angst vor einem schwarzen Hund, bevor sie starb. Das sind Symbole, die einem Angst machen können.

    Lasse Dir Deine Hoffnungen nicht nehmen. Ich glaube daran, dass es immer weitergeht. Es gibt zwar den körperlichen Tod, aber nie den geistigen. Man legt nur ein Kleid ab und erhält ein neues…gesundes.
    Ich wünsche Dir viel Kraft für Deinen Weg, die wir alle nötig haben.

    Liebe Grüße sendet Gisela

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